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Stadt Offenbach

Buchvorstellung „Jüdische Bürgerinnen und Bürger erinnern sich“

13.04.2017 – Persönliche und eindrucksvolle Zeugnisse von ehemaligen Offenbacher Bürgern aus dem Exil

Gabriele Hauschke-Wicklaus und Lutz Jahnke

Henry John Allan Adler, geboren am 30.3.1915 als Hans Ludwig Adler in Offenbach, wanderte am 10.4.1935 nach England aus, „weil ein Verbleiben offensichtlich zu gefährlich und unmöglich war.“ Otto Hirschfeld kam 1939 als Siebzehnjähriger mit den Kindertransporten nach England, „meine Eltern konnten kein Land finden, das sie aufnehmen wollte - zu alt, kein Kapital-“ (vgl. S.117). Dabei hatte der Vater eine Hutfabrik in der Ludwigstraße besessen, die er 1937 für 1/10 des Preises verkaufen musste. Diese beiden Schicksale sind exemplarisch für die etwa 900 Offenbacher Juden, denen die Emigration oder Flucht gelang. Nach Kriegsende bauten 1945 zwölf Mitglieder der ehemals 1400 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde diese wieder auf. Die meisten hatten nicht überlebt. Drei Jahre Arbeit, Quellenstudium und Archivarbeit liegen hinter Gabriele Hauschke-Wicklaus, herausgekommen ist die rund 300 Seiten umfassende Publikation „Jüdische Bürgerinnen und Bürger erinnern sich“, die einen lebendigen Einblick in das persönliche Erleben von Offenbachern ab der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gibt. Alte Stadtansichten, Klassenfotos und Dokumente wie beispielsweise zu Enteignungen aber auch zu Entschädigungsfragen hat sie zusammengetragen und gibt damit eine Ahnung von den Veränderungen und Konsequenzen, die diese Bürger zu tragen hatten.

Dr. Felix Schwenke mit Gabriele Hauschke-Wicklaus

181 Adressen Überlebender

2007 stieß Gabriele Hauschke-Wicklaus bei ihren Aktivitäten für die Geschichtswerkstatt auf Interviews und Briefwechsel, die Prof. Klaus Werner im Vorfeld seiner Publikation „Zur Geschichte der Juden im Offenbach am Main“ ab 1984 geführt und selbst nicht weiter verwendet hatte. Entstanden waren diese, nachdem der Magistrat die ehemaligen jüdischen Mitbürger 1983 erstmals mit der Hoffnung „einen Beitrag zur Verständigung leisten zu können“, angeschrieben hatte. Rund 181 Anschriften waren der Stadt Offenbach zu dieser Zeit bekannt. Werner wollte über die persönlichen Aussagen einen neuen Blick auf die Geschichte Offenbachs in der Zeit des Nationalsozialismus aus der Sicht der jüdischen Bevölkerung bekommen. Allerdings reagierten anfangs nur wenige, die meisten wollten die Wunden der Vergangenheit nicht wieder aufreißen, andere meldeten sich erst nach Veröffentlichung seines Buches. Mit über 60 Personen entwickelte sich ein lebendiger Austausch, ergaben sich persönliche Kontakte und Interviews, die später teilweise als schriftliche Quellen dem Offenbacher Stadtarchiv und der Gedenkstätte Yad Vashem zur Verfügung gestellt wurden.

Unschätzbarer Wert der Erinnerungen

„Bedrückend“ habe sie die Schilderungen über das Leben nach 1933 und die Bedingungen der Emigration in die Fremde empfunden, so Hauschke-Wicklaus: „Die Briefe zeigen, wie die nationalsozialistischen Diskriminierungs- und Verfolgungsmaßnahmen den Menschen jeden Tag ein Stück mehr von Teilhabe und Leben als Bürger nahmen, wie Hoffnungen zerstoben, Familien auseinander gerissen und zerstört wurden.“ Sie geben eine Ahnung davon, was es heißt, wenn aus Freunden und Nachbarn Zuschauer und Täter wurden. „Bei der Lektüre wurde mir der unschätzbare Wert dieser Erinnerungen klar. Daraus entstand der Wunsch, diese zu veröffentlichen. Die ehemaligen jüdischen Einwohner Offenbacher sollten selbst zu Wort kommen.“ Nachdem Klaus Werner ihr 2014 seine Materialsammlung überließ, stellte die pensionierte Geschichtslehrerin weitere Nachforschungen an, recherchierte in Archiven, suchte Bilder und weitere Dokumente und machte Übersetzungen.

Buchtitel Jüdische Bürgerinnen und Bürger erinnern sich

Überlebenden eine Stimme geben

Herausgekommen ist ein Buch, dass jenen „denen die Flucht gelang, die aber nicht mehr nach Offenbach am Main zurückkehren konnten oder wollten“, ihre Stimme zurückgibt, so Kulturdezernent Dr. Felix Schwenke in seinem Grußwort am Mittwoch, 29. März im Haus der Stadtgeschichte: „Seit 1945 ist Erinnerung nötig und möglich. Es darf nie wieder geschehen.“ Dass die Aufarbeitung der Stadtgesellschaft die Aufarbeitung der Geschichte am Herzen liegt, zeigt das breite Zusammenspiel aus Unterstützern und Förderern, die die Publikation ermöglicht haben.

Lutz Jahnke von Jahnkedesign hat das Buch gestaltet, der „junge Mann hat viel Geduld aufgebracht“, berichtet Hauschke-Wicklaus, die eine sehr genaue Vorstellung von der Kombination der einzelnen Dokumente hatte. Auf dem Titel ist eine Ansicht des alten Kaufhauses Oppenheimer, darauf ein Zitat aus einem der ausgewerteten Briefe: „Es war schön in Offenbach vor 1933.“ Und darunter ein weiteres Zitat: „Das ist nicht mehr meine Stadt!“. Zwischen den Buchdeckeln: Eindrucksvolle Dokumente und Berichte, die einen im besten Sinne persönlichen Zugang zu dem ermöglichen, das jüdische Bürger nach 1933 in Offenbach, aber auch in Deutschland, erleiden hatten.

Das von der Geschichtswerkstatt herausgegebene Buch „Jüdische Bürgerinnen und Bürger erinnern sich“, ISBN 978-3-939537-46-5, ist im Buchladen am Markt, in der Steinmetz´schen Buchhandlung zum Preis von 19,50 Euro erhältlich.

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