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Stadt Offenbach

Urteil des Bundessozialgerichts stellt Musikschule vor existentielle Herausforderung: Stadt plant höheren Zuschuss zur Rettung des Musikschulbetriebs

25.06.2024

Der vermutlich größte Umbruch in der Geschichte der deutschen Musikschulen stellt auch die Musikschule Offenbach vor große Herausforderungen, die sie alleine nicht bewältigen kann. In Folge des sogenannten Herrenberg-Urteils des Bundessozialgerichts dürfen im weitesten Sinn keine freischaffenden Lehrenden mehr angestellt werden – die wiederum in vielen Bundesländern bislang das Rückgrat des Musikschulsystems bildeten. Das bedeutet nun immense Mehrkosten für die Musikschulen, denn sie müssen Lehrerinnen und Lehrer nun fest anstellen, gleich, ob diese das überhaupt möchten oder nicht. Der Magistrat der Stadt Offenbach schlägt nun der Stadtverordnetenversammlung vor, das wirtschaftliche Überleben der Musikschule zu sichern. „Wir lassen die Musikschule nicht hängen“, sagt Oberbürgermeister und Kulturdezernent Dr. Felix Schwenke. „Als eine der größten und vielfältigsten Musikschulen in Hessen ist sie ein entscheidender Teil der kulturellen Bildung in Offenbach und geht mit ihrer Arbeitsweise mitten in die Bevölkerung – dank ihrer großzügigen Förderer stellenweise auch dahin, wo Menschen sich diese Art von Bildung eigentlich nicht leisten können. Darauf sollte Offenbach wenn irgendwie möglich nicht verzichten.“ Deshalb ist der Magistrat der Stadt bereit, der Musikschule bis zu einer Million Euro als Zuschuss zur Abdeckung der Risiken aus dem Urteil zu gewähren. 

Bereits 2022 hatte das Bundessozialgericht in letzter Instanz entschieden, dass eine Musikschullehrerin aus dem schwäbischen Herrenberg in ihrem Berufsalltag in einem solchen Maß in den Betrieb eingebunden war, dass sie damit automatisch als abhängig beschäftigt gilt und auch der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Was sich auf den ersten Blick unspektakulär liest, ist in der Praxis aber für viele Einrichtung regelrechter Sprengstoff. Denn nach den Kriterien des Urteils gelten in der Praxis nun nahezu alle an Musikschulen unterrichtenden Musikerinnen und Musiker als abhängig Beschäftigte und müssen damit fest angestellt werden. Das kostet deutlich mehr – bei der Musikschule Offenbach e.V. wird es voraussichtlich um die 60 % der bisherigen Kosten zusätzlich bedürfen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus stehen eventuelle Nachforderungen für Sozialversicherungsbeiträge für bis zu vier Jahre im Raum. Im Moment verantworten diese unverschuldet aufgelaufenen möglichen Forderungen die ehrenamtlichen Vorstände Dr. Jürgen Trillig und Sabine Seippel. „Aktuell ist es so, dass Menschen, die mit enormem Einsatz einen so großartigen ehrenamtlichen Job machen wie Dr. Trillig und Frau Seippel zum Dank dafür auch noch persönlich den Kopf für eine hohe sechsstellige Summe hinhalten müssen. Ich halte es für äußerst wichtig, dass die Stadt in dieser Situation eingreift und den Vereinsvorstand vor diesem Risiko schützt“, so OB Schwenke. 

Die möglichen Nachzahlungen für die letzten Jahre belaufen sich nach Berechnungen der Musikschule auf bis zu 760.000 Euro, die Mehrkosten für das erste Halbjahr des nächsten Schuljahres auf etwa 300.000 Euro. Für die Bereitstellung dieser außerplanmäßigen Mittel bittet der Magistrat die Stadtverordneten in ihrer nächsten Sitzung um Zustimmung.

Zwar liegt das Urteil schon fast zwei Jahre zurück, jedoch haben die zuständigen Verbände den Musikschulen die Information erst mehr als ein Jahr nach dem Urteil mitgeteilt. Damit befinden sich die Musikschulen unter hohem Zeitdruck, um für das nun anstehende neue Schuljahr rechtlich saubere Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Weder zu Übergangsfristen noch zu der Frage, ob sie Nachforderungen zu stellen beabsichtigen, haben sich die Sozialversicherungsträger verbindlich geäußert. Damit haben die Musikschulen kaum Alternativen, als Hals über Kopf einen Wechsel auf Festanstellungen sicherzustellen. Das Präsidium des Hessischen Städtetags hat den Hessischen Musikschulverband vor einigen Tagen aufgefordert, eigene Vorschläge vorzulegen, wie das Herrenberg-Urteil aus seiner Sicht umgesetzt werden soll. Auch aus Sicht des Städtetags sind die Musikschulen von großer Bedeutung für das Gemeinwesen.

Die Musikschule Offenbach hat sich für den schnellen Umbau dreier Fachleute versichert: Christoph Hornbach und Thomas Huscher als erfahrene frühere Manager von Musikausbildungsstätten in Frankfurt und des Offenbacher Anwalts Dr. Thomas Lanio. Alle drei arbeiten gemeinsam mit den Vorständen und Musikschulleiterin Catherine Veillerobe nun unter Hochdruck daran, bis zum Sommer zumindest provisorische neue Strukturen einzurichten, damit die Musikschule betriebsfähig bleibt. 

„Ziel ist, nun ein Übergangs-Musikschuljahr zu haben. Bis zum kalendarischen Jahresende wollen wir mit der Musikschule die Eckpunkte einer neuen dauerhaften Aufstellung der Musikschule besprechen: Was braucht es? Was können wir bezahlen? Im aktuellen Beschluss geht es um eine Absicherung der enormen persönlichen Risiken. Für einen dauerhaften Beschluss geht es darum, die kultur- und bildungspolitischen Ziele der Stadt Offenbach bestmöglich mit den finanziellen Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen“ so Schwenke.

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