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Stadt Offenbach

Vor 20 Jahren begann der Bau des neuen Schlachthof-Quartiers

12.08.2013 – „Arbeitswelten“ lautet diesmal das Thema der Tage der Industriekultur RheinMain, deren facettenreiches Programm am 13. August beginnt. Führungen, Vorträge und Filme an verschiedenen Schauplätzen in der Region lenken den Blick auch auf den Wandel der Arbeitswelt, der gerade für Offenbach so tiefgreifende Folgen hat.

Das alte Schlachthofgelände an der Buchhügelallee - eine der imposantesten Stationen der Offenbacher Route der Industriekultur - ist ein Beispiel für erfolgreichen Strukturwandel. Vor rund 20 Jahren, im November 1993, verkaufte die Stadt das Schlachthof-Areal an den Frankfurter Bauträger Ernst Otto Walker, um dort im Einklang mit der historischen Bausubstanz ein modernes Quartier zu errichten.

4,8 Hektar groß ist das Gelände, das sich zwischen Buchhügelallee und Spessartring, zwischen Dornbuschstraße und Erlenbachstraße erstreckt. 1904 wurde dort einer der modernsten Schlachthöfe des Deutschen Reiches eröffnet. Kommunalpolitiker und Metzger hatten die mehrjährigen Planungen und Bauarbeiten unter der Leitung des Dessauer Architekten Alfred Röpert gemeinsam überwacht. 14 Gebäude gehörten zu der Anlage, darunter ein eigenes Dampfkesselhaus für die Energieversorgung. Die Eisfabrik konnte täglich 17 Tonnen Blockeis herstellen. Ein eigener Wasserturm sicherte die Wasserversorgung.

Der neue Offenbacher Schlachthof hatte einen enormen Umsatz zu bewältigen: Schon 1903 waren in Offenbach die Zahl der jährlichen Schlachtungen auf über 33.000 gestiegen. Die neue Anlage bot dabei höchste hygienische Standards. Die Lokalhistorikerin Christina Uslular-Thiele weiß, dass 1906 im Schlachthofkomplex auch eine Anlage zur Herstellung von Säuglingsmilch eingerichtet wurde, die Rohmilch zu trinkfertigem Brei verarbeitete und die Auslieferung organisierte. Der entscheidende Fortschritt bestand in einer geschlossenen Kühlkette. So konnte die Säuglingssterblichkeit vor allem während der Sommermonate entscheidend verringert werden.

Ende der 1980er Jahre, zeichnete sich das Ende ab: Neue EU-Hygienevorschriften hätten enorme Investitionen erfordert. Zudem kamen private Großschlachtereien auf und machten örtlichen Metzgern Konkurrenz. Und so stellte der Offenbacher Schlachthof seinen Betrieb zum 31. Dezember 1990 ein.
Doch schon 1989 hatte die Stadt in kluger Voraussicht mit der Suche nach Konzepten für die künftige Nutzung begonnen. Weite Teile der historischen Bausubstanz sollten erhalten bleiben und in die Pläne für einen Mix aus Wohnen und Gewerbe, kultureller und sozialer Nutzung einbezogen werden. Doch laut Marion Rüber-Steins, Referatskoordinatorin für Stadtentwicklung beim Offenbacher Amt für Stadtplanung, Verkehrs- und Baumanagement, gab es damals bundesweit erst wenige Architekturbüros, die sich mit der denkmalgerechten Konversion von Industrieanlagen befassten. Und so fiel die Wahl auf das in dieser Disziplin profilierte Pariser Büro „Reichen et Robert“. Deren Umnutzungsstudie bildete die Grundlage des Investorenwettbewerbs 1992/93: Darin zeigten sie auf, welche Nutzflächen in dem denkmalgeschützten Ensemble generiert werden könnten und in welcher Größenordnung das Areal mit zusätzlichen Nutzungen zu einem urbanen Subzentrum verdichtet werden sollte. Der auf den Vorgaben von Reichen et Robert aufbauende Wettbewerb Anfang der 1990er Jahre wurde für Arbeitsgemeinschaften aus kaufinteressierten Investoren und deren Planern ausgelobt und bereitete damit den Verkauf des städtischen Geländes im Jahr 1993 vor.

Was nur wenig später zum Markenzeichen für die Umnutzung der ehemaligen Fabriken Heyne im Nordend und Hassia im Senefelder-Viertel wurde, nahm auf dem alten Schlachthofgelände seinen Anfang: Eine denkmalgerechte Sanierung und Modernisierung nach heutigen Anforderungen an Wohnen und Gewerbe. Bis heute steht die einstige Industriestadt Offenbach vor der großen Herausforderung, verlassene Fabrikgelände neu zu beleben, um attraktive Ansiedlungsflächen für moderne Unternehmen auszuweisen und lebenswerte Wohnquartiere vor allem für junge Familien zu schaffen. An verschiedenen Stellen im Stadtgebiet zeigt sich aktuell die Dynamik des Strukturwandels: Am deutlichsten am Hafen, aber auch in den Plänen für das ehemalige MAN Roland-Gelände an der Christian-Pleß-Straße.

Hochwertiger Wohnraum, eine familienfreundliche Infrastruktur mit nahe gelegenen Kitas und Schulen, gute Verkehrsanbindung und Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf, eine Umgebung, in der man zur Ruhe kommen und sich zu Hause fühlen kann – all dies erfüllt das Wohnquartier am alten Schlachthof. Die historische Bausubstanz sorgt zudem für ein besonderes Flair.

Im Eingangsbereich ist das Pförtnerhäuschen mit markantem Stierkopf erhalten geblieben. Historische Gebäude flankieren die Zufahrt zu einem kleinen Parkplatz, der nur Bewohnern zur Verfügung steht und mit einer Schranke gesichert ist. Das Quartier, das heute rund 300 Eigentumswohnungen unterschiedlicher Größe umfasst und rund 600 Menschen ein Zuhause bietet, ist nahezu komplett autofrei. Tiefgaragenstellplätze wurden schon zu Beginn der neuen Bebauung angelegt.

Gelbe Klinker und roter Mainsandstein kennzeichnen die historische Bausubstanz. Das ehemalige Kesselhaus beherbergt heute die beliebte Cocktailbar Lounge. Gleich nebenan, im früheren Kühlhaus mit seinen fast sakralen Spitzbogenfenstern, kann man heute im „Paul´s“ dinieren. Das erstklassige Restaurant gehört zum Vier-Sterne-Hotel Achat Plaza, das weite Teile des früheren Schlachthofkomplexes nutzt und dort 155 Zimmer und vier Tagungsräume eingerichtet hat.
15 Meter breit, 100 Meter lang und elf Meter hoch ist die Verbindungshalle, die einst Schlachthallen und Kühlhaus verband, und die von einem flach gewölbten Glasdach überspannt wird. Mächtige Widderköpfe zieren die Säulen am Eingang der Halle, in der rund 300 Menschen Platz finden, und die gelegentlich für Modenschauen oder Musikveranstaltungen genutzt wird. Einige junge Modelabels und ein Tonstudio haben sich hier eingemietet. Der Eingangsbereich des Areals ist nach dem Geistlichen Rat und früheren katholischen Dekan Offenbachs, Pfarrer Ernst Griesheimer benannt, der in Offenbach Pfarreien und Sozialeinrichtungen gründete und von den Nationalsozialisten phasenweise interniert worden war.

Der Wasserturm erhebt sich noch heute als Wahrzeichen über dem Hauptgebäude. Einst trug er einen Turmhelm mit Laterne, der im Zweiten Weltkrieg zerstört und später nicht wieder vollständig aufgebaut wurde. Weithin sichtbar ist der 40 Meter hohe, frei stehende Schlot aus gelben Klinkern mit roten Ziegelornamenten.
Wie eine Passage verbindet die Schlachthofhalle den Ernst-Griesheimer-Platz mit dem Siegmund-Merzbach-Platz, benannt nach dem jüdischen Bankier, der 1832 das für die Offenbacher Wirtschaftsgeschichte so wichtige Bankhaus Merzbach gründete.
Während sich die Planer des neuen Schlachthofs den Ernst-Griesheimer Platz als einen lebendigen Treffpunkt inmitten des neuen Quartiers vorstellten, sollte der südlich gelegene Siegmund-Merzbach-Platz eher als Ruhe-Oase für die Bewohner dienen. Nur rund 2000 Meter trennen ihn von der quirligen Offenbacher Fußgängerzone. Doch von großstädtischer Hektik ist hier in der Nähe des Naherholungsgebiets Buchhügel nichts zu spüren. Der Innenbereich des Wohnquartiers ist mit Bedacht begrünt und der einstmals verrohrte Hainbach freigelegt worden. Seine Einfassung in formaler Gestaltung unterstreicht den urbanen Charakter des Neubauquartiers. In kontrastreicher Spannung dazu steht die ehemalige Kuttelei am Siegmund-Merzbach-Platz. Dort hat ein Architekturbüro sein Domizil gefunden.

Am westlichen Rand des Quartiers erinnert ein Weg an Valentin-Unkelbach, der als Offenbacher Sozialdemokrat und Gewerkschafter von den Nationalsozialisten verurteilt und inhaftiert wurde. Valentin-Unkelbach-Weg 1 – 5 ist heute die Adresse der Seniorenwohnanlage im alten Schlachthof. Sie bietet barrierefreien Wohnraum mit Betreuung und Service.
Am alten Schlachthof ist die Mischung zwischen Jung und Alt, Wohnen und Gewerbe gelungen. Neben einigen jungen Kreativen haben sich Ärzte und Freiberufler dort niedergelassen. Die Versorgung gewährleistet der benachbarte Supermarkt. An der Erlenbachstraße betreibt die frei-religiöse Gemeinde eine Kindertagesstätte mit 75 Plätzen für Drei- bis Sechsjährige.
Im Süden schirmt der Gebäudekomplex des DRK-Kreisverbandes das Wohnquartier gegen den Straßenlärm vom Spessartring ab. Nur Flugzeuge stören die Ruhe der Bewohner des Schlachthofgeländes, das heute innerhalb der Tagschutzzone liegt.
Inzwischen sind dort alle Grundstücke verkauft. Zuletzt baute die Firma Bien-Ries die Wohnanlage Saloe. Das sechsgeschossige Gebäude beschreibt die Form eines L und umfasst 2- bis 5-Zimmer-Eigentumswohnungen, wahlweise als Penthouse oder Maisonette, mit Balkon oder Terrasse. Gleich nebenan ist auf dem letzten freien Grundstück des Quartiers ein Gebäude gleichen Typs geplant. Nach dessen Fertigstellung werden auf dem ehemaligen Schlachthofgelände über 400 Wohnungen für mehr als 800 Menschen entstanden sein.

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