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Stadt Offenbach

Bundespräsident Joachim Gauck würdigt die Integrationsarbeit in Offenbach

30.11.2016

Offenbach am Main, 30.11.2016 - Ein Popstar hätte nicht würdiger empfangen werden können. Aber Bundespräsident Joachim Gauck machte es den Schülerinnen und Schülern leicht, die sich zur Begrüßung auf dem Schulhof versammelt hatten. Kaum der Limousine entstiegen, ließ er Minister und Schulleiter warten, um Hände zu schütteln und zu begrüßen. Die Jugendlichen waren begeistert: „Wow, es war so cool“, „so menschlich“, „so nah“ und so ganz anders, als sie sich den Besuch des Staatsoberhaupts vorgestellt hatten. Erst nach dem Abklatschen der Schülerhände kehrte Gauck zum Protokoll zurück und wurde vom hessischen Minister für Soziales und Integration, Stefan Grüttner, und dem Schulleiter Horst Schad empfangen.

Jeweils sieben Schüler der Theodor-Heuss-Schule, der Albert-Schweitzer-Schule und der Bachschule sprachen mit dem Bundespräsidenten über Integration in der Schule und im Alltag, ihre Wünsche und Vorstellungen. Für Schüler und Stadt sei der Besuch eine Freude, so Oberbürgermeister Horst Schneider in seiner Rede beim späteren Empfang, „und eine Anerkennung für die seit einem halben Jahrhundert geleistete Integrationsleistung in unserer Stadt.“

Intensivklasse ist unsere zweite Familie“

Aus Georgien, Spanien, Polen, aus Vietnam und Ghana, natürlich aus Deutschland und vielen weiteren Nationalitäten setzt sich die Schülerschaft der vertretenen Schulen zusammen, von denen jede besondere Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund bietet. So wurde die Bachschule erst in diesem Jahr mit dem Integrationspreis des Deutschen Fußballbundes und Mercedes-Benz ausgezeichnet, in der Berufsbildenden Theodor-Heuss-Schule (THS) beschäftigten sich die Jugendlichen in der AG „Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken“ mit Integration und das Albert-Schweitzer-Gymnasium (ASS) gibt es eine interkulturelle Schulband. Intensivklassen zur Sprachförderung bieten alle drei Schulen. Was in der Schule und darüber hinaus alles passiert und getan wird, haben die Schülerinnen und Schüler in Präsentationen zusammengestellt, die sie Bundespräsident Joachim Gauck und seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt vorstellten. Die 15jährige Emma kam vor einem Jahr aus Ungarn nach Deutschland und hat fünf Monate die „IK“ besucht: „In der Intensivklasse habe ich meine zweite Familie kennengelernt“, berichtet sie. Beim Ankommen geholfen habe ihr auch das Patenschaftsmodell der Bachschule, weshalb sie sich jetzt ihrerseits um einen Neuankömmling kümmert. „Ich habe Erfahrungen gesammelt, die mein ganzes Leben prägen können“, berichtet Tobias. Der 22jährige Bayer besucht die THS, macht gerade sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und erlebt den Austausch als echte Bereicherung. Er habe ein „tolles 11. Schuljahr“ hinter sich, in dem er auch gelernt habe, dass „wir Konflikte nicht immer lösen, im Dialog aber Verständnis füreinander schaffen können.“ Allerdings, so ohnehin einer der Schülerwünsche, fehle es oftmals an Räumen für Begegnung, nicht nur physisch, sondern auch zeitlich. Außerdem wünschen sie sich Bildung für alle, insbesondere für Neuankömmlinge. „Sofort und ohne lange Behördengänge“, erklärt der 17jährige Kurde Firat, Schüler der ASS und Sänger der Schulband IKA. Trotzdem scheint `Offenbach almost allright´ zu sein, wie es bei der Biennale in Venedig hieß: es gibt Sportvereine, in denen alle Kulturen zusammen spielen und Möglichkeiten, auch ein traditionelles Instrument zu lernen. Alles rundherum positiv? „Hier scheint es keine Rassisten, Chaoten oder Faulenzer zu geben“, wollte Gauck daher auch von den Schülern wissen. „Die gibt es doch immer“, erklärte der 18jährige Kevin mit vietnamesischen Wurzeln. „Aber es gibt keine Gruppenbildungen, es mischt sich alles.“ Das sei auch privat so, nach der Schule treffe er sich auch mit Freunden aus unterschiedlichen Kulturen, erklärt er dem Bundespräsidentenpaar.

Wir brauchen den Geist, voranzugehen

„Etwas Besseres als Offenbach hätte mir nicht passieren können“: Evren Gezer, geboren in Istanbul, kam 1983 als Flüchtlingskind mit ihren Eltern aus der Türkei nach Offenbach. Sie lernte deutsch, machte an der Albert-Schweitzer-Schule ihr Abitur, ist seit einigen Jahren als Radio-Moderatorin erfolgreich und führte durch den Vormittag in der Theodor-Heuss-Schule. „Das, was wir uns wünschen, geht“, das zeige auch das Beispiel Gezers, so Bundespräsident Gauck. Sie sei in ein Land gekommen, in dem man sich verwirklichen könne: „Es ist ein gutes Gefühl, dass Menschen hier ihre Kultur leben können. Insbesondere jene, die zuhause damit Schwierigkeiten haben. Das können sie, weil sich unser Land in einem Lernprozess befindet.“

Neues Wir – die Gemeinschaft der Verschiedenen

Die Stadt bündelt so viele Erwartungen, Wünsche, aber auch Ängste. Wie, fragte Gauck, schaffen es die unterschiedlichen Kulturen zusammen zu leben und wo müssen wir nachjustieren? „Es ist gut, dass ich heute hier bin“. Er habe, so Gauck weiter, in den Gesprächen mit den Schülern gespürt, was in Offenbach geschafft wurde: „Ich will über das Gelingen sprechen.“ Deshalb der Besuch in einer Stadt, in der Menschen aus über 150 Nationen eine Heimat gefunden haben. „Offenbach ist zu Recht stolz auf seine Erfolge und wurde auf der Architekturbiennale in Venedig zu Recht als „Arrival City“ gefeiert.“ Die Stadt gilt als „Integrationsmaschine“, hier funktioniert, was anderswo nur schwer gelinge, nämlich die einigermaßen harmonische Orchestrierung des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen und Mentalitäten. Rund 60 Prozent der Bürger haben einen Migrationshintergrund. Eine Herkulesaufgabe, insbesondere in Anbetracht der finanziellen Situation Offenbachs. „Daher“, so Gauck weiter, „ermutigt uns die Stadt, Dinge weiter couragiert anzugehen.“

Nicht die Herkunft zählt, sondern die Haltung

Selbst die beste Integrationspolitik aber kann Reibung nicht vermeiden. „Ja, Einwanderung erweitert unseren Blick. Sie ist aber auch Belastung. Vor allem ist sie ein langer Prozess.“ Die Diskussion über Einwanderung habe spät begonnen, so Gauck. Seit 1973 ist es nicht mehr selbstverständlich, dass alle dieselben Traditionen pflegen. Daher müsse sich Staatsbürgerschaft nicht ethnisch, sondern republikanisch definieren: „Viele bekennen sich zu Deutschland und seinen Werten. Aber sie wollen auch ihre Wurzeln nicht verleugnen.“ Diese Menschen mit zwei Kulturen sind wertvolle Brückenbauer, so der Bundespräsident weiter. „Das Grundgesetz ist für alle verpflichtend. Wir müssen dafür werben, dass es von allen anerkannt wird!“. Umso wichtiger, dass Kinder bereits in jungen Jahren zu Demokraten erzogen werden, bereits in den Kitas müssten die ersten Grundlagen geschaffen werden, denn, so Gauck weiter: „Die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen Demokraten und Nichtdemokraten.“ Ohnehin könne der Staat etwaige Nachteile nur ausgleichen, Gesellschaft hängt auch von Partizipation ab, die Freiheiten dazu gibt es. Alleine, manchmal fehle es Zuwanderern am Willen, sich in Schulen, Vereinen oder Initiativen zu engagieren: „Wenn ihre Zukunft hier liegt, mischen Sie sich ein!“, forderte er. „Nicht die Herkunft zählt, sondern die Haltung. Gemeinsam als Bürger für unser Land.“

Ein Anerkennung zeigender und Mut machender Besuch

„Ihre Worte haben uns Mut gemacht“, so Stefan Grüttner, Hessischer Minister für Soziales und Integration und Mitglied der Offenbacher Stadtverordnetenversammlung, in seiner Rede. Die Schülerdiskussion habe gezeigt, dass eine gemeinsame Sprache die Grundlage für eine gelungene Integration ist. Da sei Offenbach mit Sprachstanderhebungen, Kursen und Angeboten sicher auf einem guten Weg. Trotzdem gibt es noch Probleme, das zeige der Blick in den Erziehungs- und Bildungsbericht, ergänzte Oberbürgermeister Schneider„Wir haben trotz aller Anstrengungen noch viel zu viele Verlierer.“

Shahrooz Mahdavi unterrichtet seit 14 Jahren Musik, Mathematik, Physik und Arbeitslehre an der Bachschule und hat mit der Schulband einen Vortrag für den Bundespräsidenten einstudiert. „Wir versuchen, die Kinder über Musik und Sport zu erreichen“, berichtet der Lehrer, da gibt es weniger Sprachhemmnisse. Ohnehin wäre es erst einmal „wichtiger, Deutsch und Kreativität zu fördern, das ist ein erster wichtiger Schritt zur Integration.“ Aber er findet, dass die Stadt in den letzten Jahren echte Fortschritte gemacht und sich positiv verändert hat. „Der Bundespräsident setzt ein wichtiges Zeichen, das ist Anerkennung und Wertschätzung auch unserer Arbeit.“ Die 15jährige Princess kommt ursprünglich aus Ghana und hat hier alle Möglichkeiten, ihre Ausdrucksfreude auszuleben. Sie geht zum Theaterspielen und Gesangskursen ins KJK Sandgasse. „Wir müssten viel mehr solcher Räume haben“, bedauert die Schülerin, die auch zur Schulband der Bachschule gehört und später gemeinsam mit Franlyna, Josephina, Ama und Despina Michael Jacksons „Heal the World“ für den Bundespräsidenten intonierte. Der kann zwar die Welt nicht retten, hat aber ein gutes Licht auf Offenbach geworfen und viele junge Menschen für sich gewonnen: „Er war so cool“, fand auch die 17jährige Mahwish, Schülerin am Albert-Schweitzer-Gymnasium.

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