Inhalt anspringen

Stadt Offenbach

„Making Heimat - Der Deutsche Pavillon, Offenbach und die Folgen“: Das Büro für Veränderung war mit Vorträgen und Diskussion im Haus der Stadtgeschichte zu Gast

18.11.2016

Offenbach am Main, 18.11.2016 – Ende November kommt Bundespräsident Joachim Gauck nach Offenbach. Aber schon vor dieser Ankündigung ist die Stadt in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Dieses Mal nicht als struktur- und finanzschwache Kommune mit einem hohen Anteil an Migranten und Sozialhilfeempfängern, nicht mit Kriminalitätsrate, in mancherlei Augen verbautem Stadtbild oder dem im ständigen Abstiegskampf befindlichen Traditionsverein Offenbacher Kickers. Sondern im doppelten Wortsinn international, als Positivbeispiel und Folie für Vielfalt und Möglichkeiten und die Aufmerksamkeit mehr als wert. „Offenbach is almost allright“ hieß es auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig und weil dort den wenigsten die Stadt neben Frankfurt am Main ein Begriff sein dürfte, wurde sie mit einigen Bürgerportraits, Interviews und Zahlen vorgestellt. Eingebettet in den größeren Kontext „Making Heimat“, mit dem das Team um Peter Cachola Schmal, Leiter des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt, im Deutschen Pavillon einen politischen Akzent auch Offenbach geworfen hat. Denn hier funktioniert, was anderswo nicht oder nur schwer gelingen möchte: Das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Mentalitäten. Menschen aus über 150 Nationen haben in Offenbach eine Heimat gefunden, die Stadt gilt nicht umsonst „Integrationsmaschine.“

Dem Riedberg, Frankfurter Ostend oder auch dem Kulturcampus hat sich die Evangelische Akademie Frankfurt mit ihrem „Büro für Veränderung“ mit verschiedenen Veranstaltungsformaten angenommen und ist jetzt in Offenbach angekommen. „Teilhabe“ heißt das Programm für die Stadt in der „Peripherie der Mitte“. Mitten im prosperierenden Rhein-Main-Gebiet ist Offenbach eine Kommune mit finanziellen Problemen und einem schlechten Image. „Wie kann unter diesen Bedingungen Teilhabe überhaupt gelingen?“, fragte Veranstalter Christian Kaufmann in seiner Eröffnung des Studientages am 14. November im Haus der Stadtgeschichte. Dass sie hier gelingt, zeige der Pavillon in Venedig. Ohnehin sei, bei allen möglichen Kritikpunkten, ohne Zweifel eine große Leistung des Pavillons, so Kaufmann weiter, einen Perspektivwechsel auf die Stadt zu erlauben.

Der deutsche Pavillon 2016

„Heimat, frisch gelüftet“ schrieb DIE ZEIT über den diesjährigen Ausstellungsbeitrag aus Deutschland, denn Schmal und sein Team haben die Wände des 1905 ursprünglich als bayerischen Pavillon in den Giardini Publici gebauten Pavillons geöffnet. Vier garagentorgroße Öffnungen machen das Gebäude offen, bieten im Inneren aber auch kaum Schutz. Damit nichts davonfliegt, klebt die Ausstellung an der Wand und sind die Kataloge in Körben über den Besuchern angebracht. Die Resonanz auf dieses offene Deutschland war insgesamt positiv, allerdings seien die Kommentare im Gästebuch schärfer geworden, berichtet Peter Cachola Schmal. Ein Jahr nach der Flüchtlingskrise hat sich die Stimmung verändert, nicht alle folgen den Thesen, die Schmal und gemeinsam mit Kurator Oliver Elser und Koordinatorin Anna Scheuermann aus Doug Saunders 2011 erschienenen Publikation „Arrival City“ herausdestilliert hat, uneingeschränkt. Drei Jahre lang hatte Saunders an unterschiedlichen Orten der Welt recherchiert und die Wanderungsbewegungen der Menschen vom Land in die Stadt untersucht. Die Ziele und Erwartungen, die diese Menschen bewegen, gleichen sich: sie suchen Arbeit, ein Auskommen, Schulbildung für ihre Kinder, eine Zukunft. Damit deren Ankunft gelingen kann, bedarf es einiger Voraussetzungen, unter anderem preiswerten Wohnraum, Jobs und/oder der Möglichkeit von Unternehmensgründungen. Zudem müssten Städte auf Migration vorbereitet sein, dann könnten sie von hoch motivierten neuen Bewohnern profitieren.

Die Arrival City ist informell

„Die Arrival City ist informell“, lautet eine der Thesen, die Ankunftsstadt macht wenig Vorgaben und lässt Raum für Spontanität. Im weiteren Sinne meint dies Abweichungen wie beispielsweise die Erweiterung eines Gebäudes nach den Bedürfnissen der Familie, die in ihm wohnt. Von „hybriden Architekturen, die sich aus der Familienökonomie entwickeln“, spricht Prof. Kathrin Golda Pongratz von der Frankfurter University of Applied Scienes. Die Architektin und Stadtplanerin forscht in Lima und hat das Viertel El Ermitano als „selbstgebaute Stadt in der Transformation untersucht“. 1962 als Landnahme gegründet, entstanden aus ersten provisorischen Bauten im Laufe der Zeit feste Häuser und nach und nach eine selbstgebaute Infrastruktur mit Wasser, Strom und Busverkehr. „Anschließend geht es darum, nachhaltige Strukturen herzustellen,“ so Golda Pogratz, und die Ausbreitung des Viertels nicht zuletzt wegen der Gefahr von Erdrutschen durch zunehmend versiegelte Flächen in geordneten Bahnen ablaufen zu lassen. Von solch unkontrollierten Bautätigkeiten ist Deutschland, ist Offenbach weit entfernt. „Das wäre weder zielführend noch wünschenswert“, bestätigt Matthias Seiler, Bereichsleiter Stadtentwicklung und Städtebau, dennoch müssen Stadtplanung und Architektur Antworten auf unterschiedliche Bedürfnisse finden. Anderseits gelte es, diese in Verhandlungen mit Investoren und Bauherren immer wieder neu durchzusetzen.

Offenbach hat keine Vorgartensatzung

„Die Arrival City ist im Erdgeschoss“, haben die Ausstellungsmacher eine weitere These überschrieben. Dort ermöglicht sie Neuankömmlingen kleine Läden zu betreiben und damit schnell auf eigenen Füßen zu stehen. „In Offenbach sieht man urbanes Gebiet, hier ist Gewerbe und Wohnen nebeneinander möglich“, so Schmal. Er weiß, dass Investoren „eigentlich nie“ mischen wollen, heraus kämen dann tote Quartiere wie das Europaviertel in Frankfurt: „Eigentlich muss eine Stadt verlangen, dass möglichst kleinteiliges Gewerbe im Erdgeschoss möglich ist.“ Wie schwierig dies sein kann, weiß Daniela Martha, Geschäftsführerin der für die Entwicklung und Vermarktung verantwortlichen OPG Offenbacher Projektentwicklungsgesellschaft. Es sei viel Überzeugungsarbeit nötig gewesen, den Investoren Gastronomie und Gewerbe im Erdgeschoss schmackhaft zu machen. Andererseits ist das neue Quartier nicht im Sinne des zugrunde gelegten Ankunftsszenarios konzipiert: „Unser Auftrag im Jahr 2000 war es, die Sozialstruktur in Offenbach durch Ergänzung zu verändern.“ Daher habe man sich in der Folge auch bewusst gegen sozialen Wohnungsbau entschieden, auf der Hafeninsel wohnen heute beispielsweise Manager, Rentner aus dem Taunus. Zehn Jahre später, 2010, hat die Stadt wohnungspolitische Leitlinien erlassen, die eine Durchmischung auf gewissen Räumen etablieren. „Die Entwicklung des MAN-Geländes wurde als erstes Projekt mit der Auflage für sozialen Wohnungsbau realisiert“, erklärt Seiler.

Die Arrival City ist kein Sonntagsspaziergang

Neben guten Schulen tragen Netzwerke zum Ankommen bei, vertraute Sprache und Kultur vermitteln bei aller Fremdheit ein Gefühl von Heimat in der Fremde. Was bei Saunders erfolgreiches ankommen ermöglicht, sieht Dr. Mathias Schulze-Boeing Amtsleiter für Arbeitsförderung, Statistik und Integration eher kritisch: „Segregation perpetuiert Chancenungleichheit.“, meint er. Sie sei für bestimmte Nationalitäten absolut schädlich, für andere wirke sie als Verstärker. Die Stadt Offenbach bekenne sich zur Vermischung, so Schulze-Böing, allerdings gelte es Segregation als „Ghettobildung“ entgegenzuwirken. Offenbach hat einen Ausländeranteil von 31,3 Prozent, vertreten sind 152 Nationen in unterschiedlichen Anteilen. Dabei ist, und das gehört sicher zum Erfolgsrezept der Stadt, keine Ethnie überproportional stark vertreten.

Dass Offenbach nicht nur Ankommer-, sondern für viele auch Transitstation ist, zeigt die relativ hohe Flukuationsquote. Diese liegt mit 10,8 Prozent auf hohem Niveau, 13 beziehungsweise 20 Prozent beträgt sie in den „klassischen Ankommerbezirken“ Nordend und im Mathildenviertel. Hier bestimmen Zu- und Wegzug auch die Arbeit der Behörden: „Bestandsbürger machen der Stadt in der Regel wenig Arbeit, Fluktuation hält die Verwaltung auf Trab.“ Bürger melden sich an und wieder ab, Kinder müssen eingeschult und beim Wegzug muss der Sperrmüll abgeholt werden. Zudem, so Schulze-Böing weiter, ist Fluktuation belastend für die Nachbarschaft, weil dort keine verlässlichen Beziehungen geknüpft werden können.

Dem versucht die Stadt mit dem Quartiersmanagement entgegen zu wirken, das seit einigen Jahren erfolgreich in den auch als Problembezirken ausgemachten Vierteln arbeitet. Denn die von Saunders postulierten Beobachtung, dass Zuwanderer Wohlstandstreiber sind, kann Schulze-Böing nicht unterschreiben: 15,5 Prozent betrug die Arbeitslosenquote von Ausländern in der Stadt im Jahr 2015, 22,4 Prozent von ihnen bezogen Leistungen nach SGB-II („Hartz IV“). „Die Arrival City ist kein Sonntagsspaziergang, sondern auch eine Belastung“, so Schulze-Böing. Zumal Offenbach nicht Ankunfts-, sondern Bleibestadt sein will und die Gateway-Funktion der Stadt regional ohnehin nicht wahrgenommen, geschweige denn geschätzt wird. Denn viele der Ankömmlinge machen in Offenbach ihre „ersten Schritte“, bevor sie weiterziehen. „Die Stadt leistet einen wichtigen Beitrag für die ganze Region“, findet auch Matha, „der Ausgleich ist eine politische Frage“. Schulze-Böing würde sich die Logik des Sozialindexes, der bei Schulen zugrunde gelegt wird, im größeren Maßstab wünschen. Langfristig gilt es zudem auch, Fluktuationsbewegungen genauer zu analysieren, findet auch Urbanist und Stadtforscher Dr. Kai Vöckler: „Offenbach bietet ein enormes Forschungspotenzial.“

Bildinformation:

Urbanist Prof. Kai Vöckler, Peter Cachola Schmal (DAM), Daniela Matha (OPG), Rainer Schulz (Moderation, FAZ), Matthias Seiler (Bereichsleiter Stadtentwicklung und Städtebau), Prof. Kathrin Golda Pongratz (University of Applied Scienes) und Dr. Mathias Schulze-Boeing (Amtsleiter für Arbeitsförderung, Statistik und Integration)     

Erläuterungen und Hinweise